Mit recht überzeugendem Abstand haben die Brasilianer gestern Jair Bolsonaro zu ihrem Präsidenten gewählt.
Was darf man erwarten? Realistisch betrachtet nicht viel. Die Staatskassen sind gähnend leer, nachweislich geplündert von der Vorgängerpartei PT, in breiter Komplizenschaft mit so gut wie allen anderen Parteien. Mit unzähligen Milliarden Dollar war schließlich nur das unglaubliche Ausmaß des Raubzugs der PT neu, ansonsten stand deren unsoziales Verhalten aber nicht nur in der politischen Tradition Brasiliens, sondern ganz Lateinamerikas.
Die einzige Option die bleibt, ist sparen, sparen, sparen, und zwar beim viel zu großen Staatsapparat. Das ist grundsätzlich gut, denn der überbordende Staat lähmt die wirtschaftlich wichtige Privatinitiative. Die brasilianischen Staatsbediensteten werden sich den längst notwendigen Kostensenkungen bei ihren viel zu üppigen Bezügen und Pensionen aber ebenso verweigern, wie dies auch die entsprechenden Amtsinhaber aus dem Ausland tun. In der EU zum Beispiel haben wir in den letzten Jahrzehnten auf allen Ebenen eine signifikante Ausweitung des Staates erlebt, obwohl die einzelnen Länder durch immer höhere Verschuldung immer ärmer wurden, insbesondere auch das wirtschaftliche Dickschiff Deutschland. Von Ausnahmen wie Griechenland einmal abgesehen, haben die Bürger es dort noch nicht so richtig gemerkt, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und im Gegensatz zu den USA, die sich aufgrund ihres expressiven militärischen Übergewichtes Zechprellerei erlauben kann, werden die anderen Länder ihre Schulden eines Tages tatsächlich zurückzahlen müssen.
Trotz des zu erwartenden Widerstandes wird Präsident Bolsonaro aber dennoch versuchen müssen, staatliche Haushalte zu kürzen, verfettete Behörden zu verschlanken und überall wucherndes Regelungsdickicht auszudünnen, schließlich handelt es sich hier mit Abstand um das wichtigste seiner Wahlversprechen. Dafür könnte er gar eine gewisse Autorität in Ansatz bringen, steht er doch für eine Zäsur zum vorhergehenden, von den Brasilianern mutig zu Fall gebrachten Kleptokratensystem. Es ist allerdings keine leichte Aufgabe das brasilianische Haus in Ordnung zu bringen. Übergangspräsident Michel Temer wurde für seine zaghaften Reformversuche zum Beispiel beim Arbeitsrecht und der Rente vom Volk mit niedrigsten Zustimmungswerten gestraft. Im Grunde unverschuldet, denn was sich dem einfachen Bürger leider häufig verschließt, ist daß der neue Amtsinhaber zunächst einmal das politische und wirtschaftliche Erbe seiner Vorgängerregierung antritt. Dies galt im positiven Sinne für Lula, dem Fernando Henrique Cardoso seinerzeit ein vergleichsweise wohlgeordnetes Brasilien übergab, ebenso wie danach im negativen Sinne für dessen Nachfolger Rousseff und Vize Temer, die dann ein eher schweres Erbe antraten. Bolsonaro wird es da wohl nicht anders ergehen. Allerdings hat der neue Präsident keine Wahl: Die Kassen sind leer, und weiter lustig an der Steuerschraube zu drehen, wie dies unter anderen auch die PT getan hat, dürfte sich mit dem massiven Wegfall von Arbeitsplätzen unter deren Regierung wohl verbieten. Er wird die dringend notwendigen Reformen anpacken müssen, und das ist durchaus positiv zu bewerten.
Bolsonaro muß jedoch in erster Linie sparen, und es steht zu hoffen, daß er nicht in die Falle seiner Vorgänger gehen wird, es mit der Kürzung von Bezügen und Reduzierung von Stellen erst einmal bei den unteren Chargen des Staatsdienstes zu versuchen, und die oben derweil ungeschoren zu lassen, was ihm zu Recht die Kritik einbringen würde, daß sein Sparkurs sozial ungerecht sei. Diese Kritik wäre dann umso berechtigter, als der Spielraum für Kürzungen nach oben hin immer größer wird, wo üppige Besoldung und Pensionen, erstklassige Krankenversicherungen mit Dentalplan für die gesamte Familie, finanzielle Beihilfen für Wohnung, Reisen, Anzüge!, Assessoren und dergleichen längst zum liebgewordenen Besitzstand gehören.
Die Reaktionen der Kommentatoren aus dem Ausland sind wie immer geteilt: Auf der einen Seite des Spektrums haben wir die politische Linke, die mit demokratischen Mehrheitsentscheidungen immer dann recht wenig anfangen kann, wenn der ideologische Gegner gewählt wird, und reflexartig den Aufstieg eines neuen Hitlers prophezeit. Daß der Neugewählte über Zustimmungsraten und damit eine demokratische Legitimation verfügt, von der europäische Staatschefs selbst in großen und kleinen Koalitionen nur träumen können, zählt da nicht, steht er als „Populist“ doch im falschen Lager. Das politisch unmündige Volk hat sich in die Irre führen lassen, wird kolportiert, und die Nation sei damit zum Untergang verurteilt. Man redet in diesen Kreisen gerne vom südamerikanischen Trump. Daß wir es bei Jair Bolsonaro im Gegensatz zum vielfach abgelehnten Donald Trump mit einem Berufspolitiker zu tun haben, der seit fast 30 Jahren! im Kongreß sitzt und dessen Bruder und Söhne sämtlich ebenfalls in der Politik sind, er von daher also eher Parallelen mit dem amerikanischen Clintonclan aufweist, fällt dann auch nicht mehr ins Gewicht.
Auf der anderen Seite haben wir die eher konservativ eingestellte ausländische Wirtschaft und Investoren, deren befürwortende Haltung bereits vor den Wahlen, allein aufgrund der Umfragen, die übereinstimmend einen Sieg Bolsonaros vorhersagten, den Sinkflug des Real umkehrte und die hiesige Börse wieder in die Höhe trieb. Offenbar traut man ihm eine Umkehr aus der Wirtschaftskrise zu.
Ich selbst bin verhalten optimistisch, zum einen sicherlich deshalb, weil ich hier wohne und mich vom unverwüstlichen Optimismus der Brasilianer anstecken lasse. Aber es gibt auch noch einen wichtigen anderen Grund: Wer antizyklisch investiert, steigt unten ein und nimmt den Aufstieg mit! Viele dürften dies wissen und die Chancen erkennen. Die Investoren werden wiederkommen, denn Brasilien ist und bleibt eines der rohstoffreichsten Länder der Erde und verfügt insbesondere über den weltweit größten flüssigen Süßwasservorrat, in Ergänzung zu einer gut funktionierenden landwirtschaftlichen Produktion und großen Flächen noch brachliegenden Agrarlandes. Seine Wirtschaft übersteigt jedes andere südamerikanische Land, seine Gesellschaft ist geprägt von europäischen Werten mit moderner Gesetzgebung, die Respekt für Homosexuelle, Frauen, unterschiedliche Rassen und Religionen zeigt und freie Meinungsäußerung zuläßt. Das Eigentumsrecht ist sicher und Eigentum an Immobilien und Produktionsmitteln kann auch von Ausländern erworben werden, was auf der Welt keine Selbstverständlichkeit ist. Die Möglichkeiten und das Potential für einen Aufstieg sind im fünftgrößten Land der Welt also weiterhin alle da. Auch der Tourismus wird in Brasilien wieder in Fahrt kommen, denn vom Regenwald Amazoniens mit seiner auf der Welt einmaligen Artenvielfalt, bis zu den weißen Sandstränden der ausgedehnten Küste, wird bei tropischem Klima eine unglaubliche Vielfalt an verschiedenen Landschaften geboten, ohne daß dabei die Gefahr von Naturkatastrophen droht. Zu guter Letzt gehören die Brasilianer zu den unbeschwertesten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Sie sollten sie ebenfalls kennenlernen.