Im Oktober diesen Jahres sind hier in Brasilien wieder die Präsidentschaftswahlen und wie so oft harrt das Land, was seine weiteren Geschicke anbelangt, ihres Ausgangs.
Unter den diversen Kandidaten auf das Präsidentenamt wird Jair Bolsonaro als Reaktionär eingestuft. Ich sehe dies weniger dramatisch, da man ganz generell auf die Versprechungen und Ankündigungen von Politkern nicht allzuviel geben darf. Es ist schließlich eines der Hauptprobleme der Demokratie, daß ein Kandidat auf ein politisches Amt dem Wahlvolk allerhand Versprechungen machen muß, um überhaupt eine Aussicht darauf zu haben gewählt zu werden, auch wenn diese Versprechungen seinen tatsächlichen Überzeugungen (so vorhanden) völlig widersprechen mögen. Man kann als Bürger daher zumeist wenig davon glauben, was von einem Kandidaten vor der Wahl vollmundig angekündigt wird. Das Problem ist, daß einem dann dennoch wenig mehr übrigbleibt, als die Kandidaten nach ihren Wahlaussagen und vermeintlichen Wahlprogrammen zu bewerten, im vollen Wissen, daß das Meiste davon nicht ernstgemeint ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist Jair Bolsonaro immerhin der einzige Kandidat, der ankündigt, in Brasilien in Tourismus investieren zu wollen. Daß Tourismus eine durchaus politische Entscheidung ist, zeigte sich am Beispiel von Bahia als Anfang der Neunziger Jahre die Regierung ACM beschloß, den Staat dem Tourismus zu öffnen und ein Programm auflegte, das unter anderem zu einer Renovierung des historischen Stadtzentrums von Salvador, dem sogenannten Pelourinho, führte und zu seinen Glanzzeiten selbst das brasilianische Tourismusmekka Rio de Janeiro auf den zweiten Platz verbannte. Die durch Tourismus generierten Einnahmen sind zudem besonders positiv zu bewerten, da sie zu einem großen Teil den einfachen Leuten ohne Abschluß zugute kommen, die auf dem brasilianischen Arbeitsmarkt in der Regel schwer vermittelbar sind: Taxifahrer und Touristenführer, ambulante Verkäufer von Andenken, Besitzer kleiner Geschenkartikelläden und ihre Verkäufer, Bars und ihre Kellner, die Gastronomie ganz allgemein, profitiert davon ebenso wie die Rezeptionisten von Hotels, Hotelpagen, Hotelpförtner, Hotelzimmermädchen und die allgegenwärtigen Sicherheitsleute. Die anschließende völlige Vernachlässigung des Tourismus in Bahia unter der PT-Regierung zeigte übrigens deutlich, wie wenig ernst es der „Arbeiterpartei“ (tatsächlich die Partei der Gewerkschaftler und Staatsbediensteten) mit ihren vollmundigen Ankündigungen war, dem kleinen Arbeiter ein würdevolles, weil von staatlichen Almosen unabhängiges, Auskommen schaffen zu wollen.
Desweiteren kündigt Bolsonaro, der derzeit in den in São Paulo basierten Meinungsumfragen führt, umfangreiche Privatisierungen an, was in einem Land mit einer fast 40 %-igen Staatsquote und ungenierter Selbstbedienungsmentalität der staatlichen Vertreter an allen staatlichen Institutionen und Töpfen, sicherlich der richtige Weg ist. Wie immer in Brasilien ist die Parteizugehörigkeit dabei völlig ohne Belang, da die vielen politischen Parteien keinerlei Ideologie verfolgen, sondern reine Zweckbündnisse zur Erlangung staatlicher Positionen und den damit verknüpften Versorgungsleistungen darstellen. Daher messe ich dem bei meinen Betrachtungen auch keinerlei Stellenwert bei.
Ein weiteres positives Signal an die von einem überbordenden Staatswesen belasteten Brasilianer wäre es in der Tat, wenn Bolsonaro seine Ankündigung, die derzeit 39 Ministerien auf 15 zurückstutzen zu wollen, auch tatsächlich umsetzen würde. Staatliche Ministerien werden in Brasilien hauptsächlich dafür geschaffen, daß man Parteifreunde in neugeschaffene Ämter hieven kann, was aufgrund der Erfordernis immer neuer Koalitionsbündnisse fortlaufend notwendig ist. Der erste demokratische Präsident nach der Militärdiktatur, Fernando Color de Mello, startete noch mit 10 Ministerämtern, zuletzt unter Dilma Rousseff gab es dann bereits 39 Bundesministerien.
Da Jair Bolsonaro in den Meinungsumfragen, die sämtlich den absolut favorisierten Expräsidenten Lula außer Acht lassen, derzeit führt, besteht also durchaus Hoffnung, daß Brasilien in absehbarer Zeit aus seinem derzeitigen Tief wieder herauskommen könnte. Dies wiederum könnte nun ein interessanter Indikator für diejenigen sein, die bei ihren Investitionen gerne antizyklisch handeln. Als Brasilien der investment grade verliehen wurde, sind im großen Stil ausländische Investitionen ins Land geflossen und haben diverse Wirtschaftssektoren aufgebläht. Antizyklisch Handelnde hatten ihre Positionen, ob nun Immobilieninvestitionen, Aktien von Vale do Rio Doce, Petrobras oder ähnliches, vorher ausgebaut und sie dann in der Investmentgrade-Hause gewinnbringend liquidiert. Das kann man jetzt wieder tun, die Gelegenheit ist günstig, die Preise sind niedrig, bis zum nächsten Investmentgrade, wenn wieder alle entdecken, was in dem Land für Möglichkeiten stecken.